So perfekt spielen nur sie
29.01.18
Berliner Zeitung
So perfekt spielen nur sie
Beethoven-Zyklus mit dem Cuartelo Casals
Von Martin Wilkening
Wer gerne Streichquartett-Konzarte hört, findet in Berlin ein reiches Angebot. Weltklasse-Ensembles sind in der Stadt zu Hause, an beiden Musikhochschulen gibt es eine höchst lebendige Quartett-Kultur, und von Berlin aus werden viele Fäden in der Vermarktung von Streichquartetten gezogen. Das alles wäre aber nichts ohne die Resonanz des Publikums. Und die war unmittelbar spürbar in der Konzentration und der Begeisterungsfähigkeit im Kammermusiksaal der Philharmonie, als das Cuarteto Casals den zweiten Teil seines Beethoven-Zyklus spielte.
Dem in Madrid ansässigen Cuarteto Casals ist es gelungen, sich Zeit für einen eigenen Weg zu nehmen und sich nicht vom Musikbetrieb vereinnahmen zu lassen. Im letzten Jahr feierte es seinen 20. Geburtstag. Mit Mozart, Schubert und Haydn, den sie pointiert und souverän wie kein zweites Quartett spielen, haben sie schon starke Eindrücke hinterlassen, deren Werke auch auf CD aufgenommen. Beethovens Quartett-Musik erschien da wie eine Art Fluchtpunkt, auf den das alIes hinläuft, ein Versprechen für die Zukunft. Dessen Einlösung, das kann man nach dem ersten Konzert im Oktober und dem jetzigen zweiten mit Sicherheit sagen, ist überwältigend, sensationell, im Augenblick eigentlich konkurrenzlos gut. Und das Tollste ist: Diesen kostbaren Beethoven gibt es nicht wohlfeil auf CD, man kann ihn nur in dieser und der nächsten Saison im Konzert hören, in Madrid, Turin, Lissabon, Paris. London oder eben in Berlin.
Jede Art von knalliger Selbstdarstellung ist der feinsinnigen Spielweise dieses Quartettes fern. Die Klangschönheit des Cuarteto Casals besitzt etwas Berauschendes. Aber sie ist kein Selbstzweck. Beim Hören entsteht der wunderbare Eindruck, als ob man gleichzeitig die vierstimmige Partitur vor Augen hat. Nie verschwindet die Textur, das Gewebe der vier Stimmen aus dem Blick. Und wenn sich der Tonsatz auffächert, in einstimmige, zweistimmige oder dreistimmige Passagen, wie in Beethovens Quartett op.18,4 oder dem dritten der Rasumowsky-Quartette, missbraucht keiner seine Soli zur eigenen Profilierung. Auch die erste Geige, bei der Vera Martinez-Mehner eher streng und Abel Tomàs etwas übermütiger alternieren, bleibt stets eingebettet in den Zusammenhang des Ganzen.
In der Verbindung von Subtilität, geistiger Versenkung, Klangschönheit und genau durchdachter Energieentfaltung wirken diese lnterpretationen schlicht unübertrefflich. Und sie erscheinen nicht glatt, sondern lassen, wie im cis-Moll-Quartett op.131 auch Risikofreude spüren, die entfesselten rhythmischen Energien, den Spaß an Pointen, überraschenden Wendungen oder plötzlichen Abbrüchen. Die Idee, zwischen Beethovens Quartette in jedem Konzert auch ein neues Auftragswerk zu stellen, das auf Beethoven reflektiert, wirkt allerdings eher wie eine Pflichtübung. Mauricio Sotelo bezieht sich in “Quasals vB-131” (ein Titel, der auf astronomische Benennungen anspielt) sehr direkt auf Material aus Beethovens op. 131, das er durch Glissandi, wie Beugungen der Rhythmen und Tonhöhen gleichsam ins Schlingern bringt, bis in orientalisch anmutende Melismen hinein. Das ist amüsant, etwas verrückt und effektvoll gemacht, bringt allerdings nicht viel, wenn man gleich danach das Original hört, in dem selbst schon eine fantastische Kunst poetischer Vielfalt und Verdichtung herrscht.